Das Projekt Zivilcourage 2.0

Die intensive Internetnutzung Jugendlicher mit einer hohen Dichte an Online Kontakten macht die Begegnung mit negativen Inhalten nahezu unvermeidbar. Wie die „Zivilcourage 2.0“-Studie zeigt, haben fast alle (96%) der befragten 14- bis 19-jährigen Wiener Jugendlichen schon einmal negative Inhalte im Internet beobachtet, etwa zwei Drittel (63%) haben bereits Opfererfahrungen mit Online Übergriffen gemacht und ein Drittel (32%) berichtet auch von eigenen Erfahrungen als Täter*in.

Digitale Gewalt unter Jugendlichen findet (1) vor allem in Sozialen Medien von Jugendlichen an Jugendlichen statt, fällt (2) aufgrund der vielfältigen medialen Möglichkeiten und der virtuellen Distanz, die zu einer zusätzlichen Enthemmung von Täter*innen führt, oft noch massiver aus als im realen Alltag und wird in der Regel (3) nicht an Erwachsene weitergeleitet. Daher haben jugendliche Peers, die Online Übergriffe bei anderen wahrnehmen (=Online Bystander*innen), besonders hohes Potenzial, zivilcouragiert zu intervenieren. Bisherige Studien zeigen allerdings, dass Jugendliche online noch weniger eingreifen als offline und dass passives Verhalten im Internet auf hohe Akzeptanz unter Jugendlichen stößt.

Das Forschungsprojekt „Zivilcourage 2.0“ hat sich daher zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, was Jugendliche am zivilcouragierten Handeln in Online Kontexten hemmt bzw. wie dieses gefördert werden kann. Dazu wurden 19 qualitative Gruppendiskussionen mit 142 14- bis 19-jährigen Wiener Jugendlichen, eine repräsentative Befragung von 1.868 14- bis 19-jährigen Wiener Schüler*innen unter Verwendung eines Vignettenexperiments zur Simulation von Online Übergriffen sowie 17 Interviews mit Expert*innen aus dem Jugendbereich durchgeführt.

Aus der umfassenden Datenbasis lassen sich vielfältige Gründe ableiten, die Jugendliche an zivilcouragierten Interventionen im Internet hindern und die je nach Geschlecht und Bildung unterschiedlich stark ausgeprägt sind, wie z.B. mangelnde Empathiefähigkeit bei der Wahrnehmung von Online Übergriffen; geringe Überzeugung, dass das Eintreten für andere in Online Umgebungen richtig oder notwendig ist; mangelnde Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme in Online Kontexten bis hin zu situations- und kontextbezogenen Faktoren wie z.B. Geringschätzung der Schwere digitaler Gewalt im Vergleich zu analoger Gewalt, Kontextunsicherheiten in der Bewertung von Online Übergriffen oder Schwierigkeiten bei der Abschätzung des eigenen Interventionsrisikos in Online Umgebungen.

Die Studie weist auch auf ein besonders zentrales Problem hin: Jugendliche beurteilen gängige Handlungsoptionen in Online Umgebungen wie Blockieren, Melden oder Kommentieren schlicht als wirkungslos. Damit einher geht auch, dass gängige Vorstellungen von Zivilcourage aufgrund der kontextuellen Besonderheiten digitaler Medien aus der Sicht Jugendlicher nicht auf Online-Umgebungen übertragbar sind: Während Zivilcourage im alltäglichen Verständnis mit mutigem oder sogar heldenhaftem Einsatz in Verbindung gebracht wird, wird Online Zivilcourage neben der antizipierten Wirkungslosigkeit auch als nicht besonders couragiert betrachtet, entsprechend sei auch keine besondere Anerkennung als “Online Held*in” zu erwarten. Diese Erkenntnis macht es nachvollziehbar, warum Jugendliche trotz ihrer grundsätzlichen Bereitschaft zu zivilcouragiertem Engagement und ihrer mehrheitlich ablehnenden Haltung gegenüber Online Übergriffen im Internet nicht intervenieren.

Die Ergebnisse bilden die grundlegende Wissensbasis für die Entwicklung von jugendgerechten Unterstützungsmaßnahmen. In Zusammenarbeit mit den im Projekt involvierten Praxispartner*innen Österreichisches Institut für Angewandte Telekommunikation (ÖIAT/Saferinternet.at), Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) und dem Bundesministerium für Inneres (BM.I), Büro 1.6 Kriminalprävention und Opferhilfe des Bundeskriminalamts wurden Trainings- und Schulungskonzepte sowie Informationsmaßnahmen geschaffen, um Online Zivilcourage unter Jugendlichen gezielt zu fördern.

Die Erkenntnisse dieser Studie sind für die Praxis besonders herausfordernd und verweisen auf ein erforderliches Umdenken in der Vermittlung von Online Zivilcourage. Neben einer notwendigen Sensibilisierung für die Tragweite von Online Übergriffen fehlt es Jugendlichen aus allen Bildungsschichten massiv an Kompetenzen, wie Online Zivilcourage als aktive Form des sichtbaren Widerstandes gegen Cybermobbing, Online Hass und andere Formen digitaler Gewalt erfolgreich gestaltet werden kann.

Projektlaufzeit: 01.03.2017 bis 31.05.2019

 

Wissenschaftliches Projektteam:

 

Kooperationspartner*innen:

  • Österreichisches Institut für Angewandte Telekommunikation – ÖIAT/Saferinternet.at: www.saferinternet.at
  • Mauthausen Komitee Österreich – MKÖ: www.zivilcourage.at
  • Bundesministerium für Inneres (BM.I), Büro 1.6 Kriminalprävention und Opferhilfe des Bundeskriminalamts: www.under18.at

 

 

Impressionen Abschlussveranstaltung